INFLAGRANTI in Rommersdorf

Harvey?! - Eine Komödie mit Tiefgang

Es ist ein Sonntag Morgen Ende August, als ein LKW in den Innenhof der Abtei Rommersdorf fährt. Auf der Ladefläche Kanthölzer, Bretter und Holztafeln. Material für den Bau von Bühne und Kulissen im Chorschiff der Abtei. Seit vielen Jahren bietet das Ensemble von INFLAGRANTI im Hebst hochklassiges Theater in Rommersdorf, so auch 2024. Nach bereits monatelangen Proben und Vorbereitungen steht nun in den kommenden Tagen die letzte Phase an, bevor die Premiere des neuen Stückes stattfinden kann. Mit vielen Unterstützern und Helfern werden die Schauspielerinnen und Schauspieler jetzt zu Handwerkern. Zwei Tage vor der Premiere findet die Generalprobe statt und bis zum letzten Moment wird geschraubt, gehämmert und gewerkelt. Hier noch ein Kabel, dort noch eine Leiste. Und doch keine Spur von Hektik oder Aufgeregtheit. Um so erstaunlicher, wenn sich dann am Abend der Premiere  das Chorschiff der Abtei als eine perfekte Theaterbühne präsentiert. 

In diesem Jahr hat sich das Ensemble um Organisatorin, Regisseurin und Schauspielerin Dr. Ute Hartmann ein Bühnenwerk ausgesucht, dessen Inhalt viele, vor allem der Älteren im Publikum, kennen dürften. 

Schon 1950 ein Erfolg! "Mein Freund Harvey"

Bereits 1950 kam der Film „Mein Freund Harvey“ mit James Stewart und Josephine Hull in die Kinos, nach dem das Stück bereits Jahre zuvor am Broadway erfolgreich aufgeführt wurde. Eigentlich eine Komödie, aber wenn man es genauer betrachtet, eine tiefsinnige und nachdenklich machende Geschichte über das Leben und wie man es schafft akzeptiert zu werden, auch wenn man "eine Macke hat". Unter psychologischen Gesichtspunkten müsste man annehmen, dass Elwood P. Dowd, die zentrale Figur in der Geschichte, tatsächlich in fachärztliche Behandlung gehört, weil er doch ständig mit „seinem Freund“ spricht, den aber außer ihm niemand sieht. Zudem scheint er auch noch ein Alkoholproblem zu haben, weil er gerne „mal einen lüpfen geht“, wie er es nennt. Auch wenn sich seine Familie scheinbar an seinen Spleen gewöhnt zu haben scheint, wächst vor allem bei seiner Schwester Veta das Verlangen nach einer medizinischen Behandlung ihres Bruders. Zu sehr steht das sonderbare Verhalten von Elwood, einer standesgemäßen Vermählung von Myrtle Mae, ihrer Tochter, im Wege. 

Bemerkenswert ist aber gerade dieses „Verhalten“ von Elwood! Der Umgang mit seinem imaginären Freund Harvey, einem zweimeterzehneinhalb großen Hasen, führt nämlich dazu, dass er der freundlichste und netteste Mensch ist, den man sich vorstellen kann. Das Leben scheint für ihn nur rosarot zu sein. Selbst als er erfährt, dass ihn seine Schwester zur Behandlung in ein Sanatorium einweisen will, nimmt er sie in fast naiver Weise in Schutz. Wie in fast jeder Komödie sind Verwechselungen und Irrtümer die zentralen Elemente und natürlich wendet sich am Ende alles zum Guten. Erst als seine Schwester Veta erkennt, was die Alternative wäre, wenn ihr Bruder „erfolgreich" behandelt würde, ist sie bereit ihn so zu akzeptieren wie er ist. All das, was ihn eigentlich zu diesem liebenswerten und sympathischen Menschen macht, würde verloren gehen. Also bleibt alles beim alten und Elwood darf seinen Harvey behalten. 

Beste Schauspiel-Kunst

Mit Harvey hat sich INFLAGRANTI ein wunderbares Stück ausgesucht, das in poetischer Weise von der Leichtigkeit des Seins erzählt, wenn man kleine Fluchten oder den einen oder anderen Spleen zulässt.

Die Premiere am 13. September begeisterte dann auch das Publikum in Rommersdorf. Mitreißend das Spiel von Werner Drießen in der  Rolle des Elwood P. Dowd. Ohne ihn zu sehen, glaubt man die Anwesenheit von Harvey zu spüren. Wenn er den Kopf zu ihm hebt um mit ihm zu sprechen oder ihm beim Verlassen des Raumes durch eine Geste den Vortritt lässt, ahnt man seine Anwesenheit. Auch Tina Bleidt brilliert in ihrer Rolle als seine Schwester Veta. Ihr Verhalten, zwischen Hysterie und Verzweiflung, lässt einen lachen und mitfühlen. Anette Brog, als Vetas Tochter Myrtle Mae, spielt wunderbar die heiratswillige junge Frau, schwankend zwischen Mitleid für den Onkel und Scham sich mit ihm in der Öffentlichkeit zu zeigen. Überhaupt ist das gesamte Ensemble, das rund zwanzig Akteure umfasst, glänzend aufgelegt. Schnelle Szenenwechsel und flüssige Dialoge führen zu einem kurzweiligen Theatererlebnis und lassen das Publikum den Spielspaß der Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne erkennen. Dabei schlüpfen einige von ihnen gleich in mehrere Rollen. Gekonnt werden die Szenenübergänge und Bühnenumbauten so gestaltet, als wären sie Teil des Stückes. Abgerundet wird das Theatererlebnis durch die Musiker um Klaus Mäurer, die immer wieder dezent einzelne Szenen mit ihrer Musik untermalen.  

Aber auch hinter den Kulissen agieren viele Helferinnen und Helfer, die mit dazu beitragen, dass die Aufführungen in dieser Form möglich sind.

Ute Hartmann und INFLAGRANTI ist es mit Harvey?! erneut gelungen, großes Theater auf die Bühne der Abtei Rommersdorf zu bringen. Eine herrliche Komödie, hervorragende Darstellerinnen und Darsteller und eine perfekte Inszenierung machen den Theaterbesuch zu einem besonderen Erlebnis. „Manche Menschen brauchen ab und an kleine Fluchten um die Realität des Alltags erträglicher zu machen“! resümiert Ute Hartmann. Wer weiß, ob nicht am Ende der eine oder andere Besucher auch seinen "Harvey“ findet!

Ein Teil der Einnahmen wird gespendet - Auch die Stiftung profitiert

INFLAGRANTI hat bereits angekündigt, die Einnahmen der Vorstellungen wieder zu einem großen Teil an gemeinnützige Einrichtungen als Spende weiterzugeben. So sollen in diesem Jahr zwei Jugendorganisationen sowie die Abtei Rommersdorf-Stiftung bedacht werden. Vor allem für die anstehende Renovierung der Orangerie der Abtei soll die Spende verwendet werden, so der Wunsch des Ensembles.

Bilder der Premiere am13. September 2024                                                                                      (Fotos Wolfgang Hartmann)